Gleichberechtigt - auch mit Kind

 

Resümee nach einem Jahr

 

Vor der Geburt meiner Tochter habe ich über Paare gelesen, die sich fest vorgenommen haben eine gleichgestellte Beziehung auch nach der Geburt des ersten Kindes weiter zu führen und doch in alte Rollenmuster zurückgefallen sind. Auch andere Eltern sagten mir: „Ach, bekomm erst mal das Kind, dann wirst du sehen. Da macht man vieles anders, als man es sich vorgestellt hat.“ Das Thema war bei mir so präsent, dass ich tatsächlich richtig Angst bekommen habe, dass es uns genauso geht. Dass wir es uns vornehmen, aber meine Hormone mich so stark verändern, dass ich mich anders verhalten würde, als ich es mir vor der Geburt vorgestellt hatte.

Keine Zweifel, die Geburt meiner Tochter hat viel mit mir gemacht. Ich liebe meine Tochter. Ich habe mich so in sie verliebt. Ich will möglichst viel Zeit mit ihr verbringen. Ich will um alles in der Welt, dass es ihr gut geht. Ich sorge mich um sie, wenn sie krank ist. Trotzdem lebe ich mein Leben, so wie es mir wichtig ist. Ich erfülle mir meine Bedürfnisse. Ich habe weiterhin eigene Ziele und Visionen.

Meine Tochter ist vor kurzem ein Jahr alt geworden. Das gab mir Anlass, Resümee zu ziehen: Mein Partner und ich leben nach wie vor gleichgestellt. Und wir sind gleich verantwortlich für unsere Tochter.

 

Fifty-fifty in jeder Hinsicht

 

Schon vor der Schwangerschaft war uns klar: Wenn wir Eltern werden, teilen wir uns Betreuungszeit und Aufgaben im Haushalt genau 50:50. Das heißt für mich: Wir haben jeweils gleich viel Zeit für unser Kind, für die eigene Karriere und für den Haushalt. Jeder nimmt sich für diese Dinge genau gleichviel Zeit.

Zur fifty-fifty Aufteilung gibt es verschiedene Modelle. Für manche Paare funktioniert es gut, wenn beide jeweils sechs Monate Elternzeit nacheinander nehmen, andere Paare wechseln wochenweise. Ein Paar hat mir von ihrer Vormittag/Nachmittag-Aufteilung erzählt. Wir wechseln uns tageweise ab. Konkret heißt das, dass Montag, Mittwoch und jeden zweiten Freitag Papa-Tage sind, Dienstag, Donnerstag und jeden zweiten Freitag sind Mama-Tage. An diesen Tagen sind wir jeweils vollverantwortlich für die Kleine, mit allem was dazu gehört. Der andere muss an nichts, was mit ihr zu tun hat, denken.

Ich habe das Gefühl, dass es meiner Tochter gut damit geht. Natürlich ist es nicht immer einfach. Auch sie hatte eine Phase des Trennungsschmerzes. Dann hat sie geweint, wenn ich morgens aus dem Haus gegangen bin. Genauso hat sie auch geweint, wenn Papa gegangen ist. Das waren drei schwere Wochen, aber das ist okay. Ich denke, damit sie sich gut entwickelt, muss ich sie nicht vor jedem Schmerz bewahren. Ich denke, ich muss dafür sorgen, dass jemand da ist, bei dem sie sich wohl und nicht fremd fühlt. Das können mein Partner und ich immer sehr gut gewährleisten.

 

Eine gute Mutter sorgt zuerst für sich selbst!

 

Warum soll man im Flugzeug erst seine eigene Sauerstoffmaske aufsetzen und dann erst das Kind versorgen? Weil die Gefahr besteht, dass ich mich nicht um das Kind sorgen kann, wenn ich nicht zuerst mich selbst versorge. Dann ist nämlich niemandem geholfen. Auch im Alltäglichen ist es mir wichtig, dass ich für mich da bin. Ich nehme meine Bedürfnisse ernst, um Kraft zu haben, mich um meine Tochter zu kümmern.

Meine ganz persönliche Konsequenz:  Ich bin nicht Vollzeitmama. Vollzeitmamasein wäre für mich mit totaler Aufopferung meiner eigenen Bedürfnisse verbunden. Dann würde die Gefahr bestehen, dass daraus hohe Erwartungen an das Kind entstehen. Ich hätte das Gefühl, dass mir das Kind später etwas zurück geben muss, um das auszugleichen. Diese Last will ich meiner Tochter ersparen und suche lieber gleich mit meinem Partner nach Möglichkeiten, wie wir die Bedürfnisse der gesamten Familie erfüllen können. Auch mein Partner möchte Zeit mit seiner Tochter verbringen, aber auch er möchte seine Arbeit nicht für zwölf Monate an den Nagel hängen. Eine fifty-fifty Aufteilung schien uns hier die passendste Lösung.

Wenn ich unser Zeitmodell immer mal wieder reflektiert habe, hat es mich sehr glücklich gemacht. Ich habe dann festgestellt, dass es das Richtige für uns ist. Ich freue mich immer auf den nächsten Tag. Und ich bin froh, dass wir uns dazu entschieden haben, auch wenn uns vor der Geburt Zweifler begegnet sind und ich mir einmal die Bezeichnung „Rabenmutter“ anhören musste.

 

Immer mit dabei – gleichberechtigt

 

Wir beide haben alle Entwicklungsschritte unserer Tochter miterlebt. Wir hatten beide schlaflose Nächte und anstrengende Tage als die ersten Zähne kamen, wir waren beide mal zur Babymassage und haben beide ihre ersten süßen Schritte gesehen. Ein Baby entwickelt sich so schnell, aber das wenigste lernt sie innerhalb eines Tages, daher hat keiner von uns etwas verpasst.

Unseren Familienalltag entspannt, dass unsere Tochter nicht abhängig von einem von uns beiden ist. Wenn einer mal krank ist oder eine Dienstreise macht, ist das für sie gar kein Problem. Sie fühlt sich immer gut aufgehoben. Wir Eltern sind die wichtigsten Rollenvorbilder und ich bin sehr froh, dass meine Tochter diese Rollenvorbilder vorgelebt bekommt. Egal ob Mann oder Frau, jeder kann Putzen, Kochen und erfolgreich sein.

Fifty-Fifty im Haushalt führt auch zu Augenhöhe in der Beziehung. Ich bin überzeugt, dass genau dieses fifty-fifty Modell für uns den Grundstein gelegt hat, nicht in alte Rollen zu verfallen. Es hat sich automatisch ergeben, dass der, der mit der Kleinen zuhause ist, vollverantwortlich für sie ist. Wir haben beide gemerkt, dass die Betreuung eigentlich erst richtig anstrengend wird, wenn der andere weg ist. Wenn man nicht nachfragen kann, wenn man nicht das Kind kurz abgeben kann, um auf Toilette zu gehen, wenn man ganz allein verantwortlich ist. Die Verantwortung strengt an. Wir wissen beide, was der andere leistet.

 

Jede Familie hat andere Bedürfnisse

 

Ich bin froh, dass ich in einer Zeit und in einem Land lebe, in der jede Familie ihre eigene Konstellation finden kann. Denn jede Familie hat andere Bedürfnisse und jede Familie sollte ihren eigenen Weg finden. Ich glaube gerade in Deutschland sind die Voraussetzungen dafür (z.B. Elternzeit) gegeben. Wie man das erste Lebensjahr des Kindes gestaltet, hat meiner Meinung nach einen sehr wichtigen Einfluss auf die Entwicklung des Kindes und auf die Beziehungen zwischen Mutter, Vater und Kind. Daher sollte man sich das individuell genau überlegen und bewusst entscheiden, anstatt einfach das zu tun, was die eigenen Eltern oder die beste Freundin gemacht hat.

Sicher gibt es in unserer Gesellschaft noch Vorbehalte gegenüber Familien mit „alternativen“ Betreuungsmodellen, Vorurteile gegenüber Vollzeit-Papas und arbeitenden Müttern. Aber diese „Wunden” wird die Zeit heilen. Jede Familie, die ein gleichberechtigtes Modell vorlebt und darüber spricht, streut die Möglichkeit der Veränderung in ihrer Umgebung, sodass sich Stück für Stück wirklich etwas ändert. Ich hoffe, mein Erfahrungsbericht trägt ein Stück dazu bei.

Wir alle wollen, dass unsere Kinder glücklich sind. Doch das sollte nicht zum obersten Ziel unseres „Erziehungsprojektes“ werden. Stattdessen sollten wir unseren eigenen Weg gehen, um glücklich zu sein. Denn glückliche Eltern sind der Schlüssel zu glücklichen Kindern.

Dieser Blogartikel wurde hier bei EditionF erstveröffentlicht.


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